Die "Liller Kriegszeitung" 1914/15

 

Wir und die Vlamen

Wir deutschen Soldaten in Flandern haben vor unsern weiter südlich kämpfenden Brüdern voraus, dass wir auf der Grenzwacht stehen, vor einem Volk, das his auf den heutigen Tag in seinem Wesen germanisch geblieben ist. In allen Wechselfällen hundertjähriger Geschichte hat der im Grunde treffliche Stamm der Vlamen seine Art sich zäh bewahrt. Die vielen blutigen Kriege, die gerade hier durchgewogt sind, konnten dieses Bollwerk deutschen Stammes nicht wegschwemmen. Lange wehrten sich die Vlamen unbewusst, nur im stillen gegen alles Fremde. Erst seit einigen Jahrzehnten stellt sich der behördlichen, von Brüssel ausgehenden Verwelschungssucht ein hartnäckiger, bewusster Widerstand entgegen: Die vlamische Bewegung.
Mit welchem Erfolge sie das tut, können wir auf Schritt und Tritt erkennen. Die meisten Wegweiser sind jetzt zweisprachig, ebenso die Aufschriften auf den Bahnhöfen und Eisenbahnen, sowie die öffentlichen Bekanntmachungen. Vor wenigen Jahrzehnten noch wäre das unmöglich gewesen.
Mit zäher Kraft kämpft das kleine Volk für seine Art. Aber nur für sich allein. Denn über eines müssen wir uns vollkommen klar sein: Wenn diese Vlamen auch Germanen sind und mit Wallonen nicht das Geringste zu tun haben, so wollen sie doch von unserm Deutschtum ebenso wenig wissen wie von französischem Wesen. Keinesfalls werden wir ihnen aufdrängen dürfen, was sie heute noch von sich weisen. Jahrzehnte müssen da erst ihre Arbeit verrichten. Aber eines kann man und muss man vom deutschen Soldaten verlangen: Dass er dem vlamischen Volk nicht gerade in den Rücken fällt Was die Vlamen Neer-Waesten nennen, sollte der deutsche Soldat nicht mit Bas-Warneton bezeichnen; ob ich Meesen sage oder Messines, Koomen oder Comines ist durchaus gleichgültig und nur eine Augenblickssache. Diese Ortsnamen prägen sich nämlich den Soldaten in der Form ein, wie sie dienstlich gegeben wird. So werden sie dann auch in der Kriegsgeschichte weiterleben. Es wäre für spätere Zeiten zu wünschen, dass wir grundsätzlich alle Orte vlamisch bezeichnen. Das Volk versteht uns und unsern Soldaten liegt der Klang noch besser. Gewiss ist der Name Lille gegen den vlamischen Namen Ryssel gebräuchlicher, aber warum Lille sagen, das weder Französisch noch Vlamisch ist? Warum sollen denn Gefechte in dieser Gegend nicht die bei Ryssel heissen? Nehmen wir doch in unsere Sprache herüber, was uns die vlamische Mundart schon fertig darbietet, und erfinden wir nichts Neues. Das ist die Pflicht, die wir gegen dieses uns verwandte Volkstum haben. Mehr zu wollen und mehr ins Werk zu setzen ist gar nicht am Platz, denn wir können geschichtliche Entwicklung nicht mit Gewalt beschleunigen. Der völkische Kampf bleibe nur Sache der Vlamen selbst, haben sie doch bewiesen, ihn führen zu können. Alles, was wir für die nächsten zehn Jahre erwarten und erwarten können, ist, dass sie die Loslösung von welscher Art immer einschneidender vollziehen mit unserer Unterstützung. Dem grossen deutschen Stamme bleiben sie dann erhalten. Wohin wir immer in der Geschichte und im sozialen Leben der Völker blicken, überall ist der Gang des Werdens dieser: Zuerst ein oft langsames Auflösen alter Bildungen. Die Teile finden sich dann zu neuen Bindungen von selber zusammen.

Friedr. Wilh. Pfeiffer-Helm.

 

Die "Liller Kriegszeitung" 1914-1917

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