Gedanken
eines Afrikaners
Als
ich wenige Wochen vor dem Kriege, am Himmelfahrtstage 1914, aus Deutsch-Süd-West
zurückkehrte, stand ich bei der Einfahrt unseres Dampfers in den
Hamburger Hafen mit einem Kameraden an der Reeling. Wir gedachten derer,
die wir drüben gelassen hatten, und uns beschlich eine leise Wehmut,
trotz aller Freude, die ein Wiedersehen mit der unvergesslichen Heimat
mit sich bringt. "Wissen Sie," sagte da plötzlich mein
Nachbar, "eine Angst hatte mir drüben so manches Mal die Lust
an meinem Kommando genommen. Wenn's mal losgehen sollte, dann sitzest
du da drüben und kannst nicht mitmachen. Das ist mein grösster
Wunsch für meinen Deutschlandurlaub: wenn's losgehen soll, dann jetzt,
solange ich hier bin." Ich stimmte ihm zu. Es muss furchtbar sein,
draussen zu sitzen, während die Unseren in Europa kämpfen.
Früher als wohl einer von uns beiden gedacht hatte, sollte uns dieser
Wunsch in Erfüllung gehen. Nach kaum vier Wochen zogen wir hinaus
voll heiliger Freude in den grossen Kampf mit Gott für König
und Vaterland.
Die ersten Nachrichten, die wir aus den Kolonien erhielten, brachten die
Versicherungen unwandelbarer Treue für Kaiser und Reich. Der schmählichsten
Kriegserklärung, die die Weltgeschichte je gehört, folgte der
Heldenkampf von Kiautschou, mit der unausbleiblichen Nachricht von der
schliesslichen Übergabe der Feste. Uns zum Ruhm, den Japanern zur
Schande.
Dann hörten wir lange nichts von den Brüdern da draussen.
Wohl wussten wir, dass England und seine Trabanten auch in unsere Kolonien
die Brandfackel des Krieges hineingetragen hatten, doch fehlten die Nachrichten
über den Erfolg der Kriegsexpeditionen unserer Feinde.
Da sind kurz hintereinander, aus Ost und West, herrliche Siegesnachrichten
zu uns herüber geflattert. Sie haben Schlachten da drüben geschlagen,
die, wenn man die besonderen Verhältnisse berücksichtigt, zu
den grössten der Weltgeschichte gerechnet werden müssen.
Führen wir uns einmal die grossen Unterschiede vor Augen. Wir besitzen
Länder vielfach grösser als unser Vaterland, nach allen Seiten
den Feinden offen. Zu ihrer Verteidigung dient eine Truppe, die, wie schon
ihr Name sagt, lediglich zum Schutze der Kolonisten da ist, und zwar gegen
Überfälle der Eingeborenen.
Da wir in unseren Kolonien den Eingeborenenstämmen zum grossen Teil
unsern kolonialen Willen beigebracht und die Macht, unseren Willen durchzusetzen,
ihnen nur zu deutlich gezeigt haben, genügt eine zahlenmässig
kleine Truppe, die sich zum Teil aus Schwarzen zusammensetzt.
Greift man nun unsere Kolonien an, so muss der Angreifer, da er es mit
Deutschen zu tun hat, wissen, die Kolonie verteidigt sich bis zum letzten
Mann. Wer griff unsere Kolonien an? England. Wusste England, dass wir
uns verteidigen würden? Es konnte keinen Augenblick daran zweifeln.
Welchen Erfolg versprach ein Angriff auf unsere Kolonien? Dass England,
vorausgesetzt, der europäische Krieg dauerte lange genug, uns die
Kolonien nehmen würde. Noch hat England sein Ziel nicht erreicht,
aber wir müssen damit rechnen, dass es einmal zum vorausgesehenen
Ergebnis kommen wird. Was aber hat England damit gewonnen? Nichts. Denn
darüber dürfte selbst bei einem noch so phantastisch angehauchten
Engländer kein Zweifel bestehen, dass die Eroberung irgendeiner unserer
Kolonien für die Entscheidung auch nicht das geringste beiträgt,
sondern dass diese auf dem europäischen Festland fallen muss.
Schliesslich liesse sich noch behaupten, wirtschaftliche Gründe seien
ausschlaggebend gewesen, als man beschloss, den Krieg in die Kolonien
zu tragen. Ist dies der Fall? Auch hier ist ein glattes "Nein"
die einzig mögliche Antwort. Wirtschaftlicher Nutzen liesse sich
aus unseren Kolonien, die eben aus den Kinderschuhen herauswachsen wollten,
kaum ziehen, da die unausbleibliche Zerstörung der Verkehrswege jedem
Handel von vornherein, wenigstens auf lange Zeit hinaus, die Lebensmöglichkeit
nahm. Da nun jede in Waffen stehende Macht versucht, den Gegner auch wirtschaftlich
zu schädigen, so könnte man die Gründe für Englands
Handeln ja hierin suchen. Aber auch dann sucht man vergebens, denn eine
wirtschaftliche Schädigung hätte nur Sinn, wenn man durch den
Schaden, den man seinem Nebenbuhler zufügt, die eigenen Lebensinteressen
nicht selbst schädigt. Sogar diesen Hauptpunkt hat England ausser
acht gelassen. Es ist nicht zweifelhaft, dass, wie jeder Krieg, so auch
der koloniale Krieg, die davon betroffenen Länder in hohem Masse
schädigt. Denken wir nur an den Raubbau, wie er jetzt auf unseren
Diamantfeldern getrieben wird, und doch ist das nur ein nebensächlicher
Umstand.
Inwiefern schädigt sich nun aber England selbst? Es zerstört
sich Absatzgebiete, die einmal, und zwar auf solche Weise verloren, nie
wieder zu erschliessen sind. Aber weit mehr noch, es unterbindet sich
einen Lebensnerv, indem es durch den Kampf innerhalb der eigenen Rasse
den Schwarzen das Kriegsbeil in die Hand drückt. Rechnen wir den
allerdings nicht unbedingt vorausgesehenen Burenaufstand mit, säet
England im eigenen Lande dreifachen Zwist.
Die drohende Gefahr eines Kaffern-Aufstand es gehörte bereits vor
dem Kriege zu den brennendsten Fragen in der Politik der Kapkolonie. Dass
Britisch-Ostafrika noch nicht unterjochte, höchst kriegerische Stämme
besitzt, dürfte bekannt sein.
Im Augenblick mag die Gefahr eines Eingeborenenaufstande vielleicht geringer
sein als sonst, da die zahlreichen zusammengezogenen Truppen den Eingeborenen
doch wohl zuviel Achtung einflössen, aber lasse den Krieg vorüber
sein, England, dann wird dein Handeln Früchte tragen, die deinen
heutigen Gewinn wie eine Seifenblase in ein Nichts zerstieben lassen !
Ein Krämerhandel war auch dies Geschäft, England !
So kämpfen denn heute unsere Kameraden gegen denselben Feind, der
gestern noch unser Vetter war, um über Nacht unser Erbfeind zu werden.
Wie mögt ihr Kameraden draussen, in den ersten Tagen des Krieges,
als euch die ersten Nachrichten erreichten, wehmutsvoll nach Deutschland
geschaut haben. Wutentbrannt! Schon nach unseren ersten Siegen haben die
Engländer, diese feigen Gesellen, gesehen, dass auf Europas Boden
keine Lorbeeren für sie zu pflücken waren. So wollten sie denn
unsere Kolonien nehmen. Es konnte ja nicht schwer sein, dieses Häuflein
Männer zu zerdrücken. Doch falsch war die Rechnung auch hier!
Ihr vergasset in eurem grenzenlosen Hochmut, dass dieses Häuflein
Männer ein Häuflein Deutscher war. - -
Es ist nicht leicht, einen Kampf zu kämpfen, der von vornherein aussichtslos
ist, falls wir den Kampf im Mutterlande nicht rechtzeitig für die
da draussen beenden. Denn wie wollen sie bestehen, denen Lebensader und
Lebensnerv abgeschnitten wurde? Die Lebensmittel, die sie aus Deutschland
bezogen, bleiben aus, Da heisst es haushalten, mehr denn sonst. Frauen
und Kinder müssen arbeiten, hart und fest, für das Land, für
die Männer, die draussen stehen, für sich und die ganz Kleinen:
Harte, harte Zeit. Verlassene Frauen müssen unberaten die Entscheidung
über Hab und Gut fällen. Von aller Welt abgeschnitten, tief
im Innern des Landes, müssen sie übermütigen und faulen
Kaffern eine Herrin sein.
Unsere Truppe draussen, wie geht es der? Da hiess es: alle Mann an Deck.
Kein langsames Einsetzen der Kräfte gab es da, nein, vom ersten Tage
an wurden sie gebraucht, Mann für Mann.
Im Sonnenbrand, die Kehle so trocken, dass das Lied verstummt, ziehen
sie dahin, unsere afrikanischen Reiter, von der Hitze gedörrt, im
dornenden Busch, in endloser Fläche. - Einen Augenblick spielt die
Sonne mit Farben von unsagbarer Schönheit, Minuten darauf Nacht.
Eiskalt ist sie, diese Nacht, ihre Kälte quält den Körper,
gleich der Hitze des Tages. In der Schlange, heimtückisch schleichend,
naht sich der Tod, Mücken geben mit ihrem Stich nagendes Fieber,
und des Raubtiers grün glänzendes Auge, Beute witternd, umlauert
den Schlaf. -
Hinter Büschen und Klippen gekauert, erwarten sie den Feind, der
da heranschleicht, in feiger Überzahl. Da. Schuss. Salve, Hunde!
Ihr wollt unser Land? Nie, bis dass der letzte stirbt!
England, unser Schicksal glaubtest du in deiner Hand, - Ein Höherer
hat dein Schicksal in der Hand!
Sie wird zur Neige gehen, die Munition, die unersetzliche? Versiegen wird
quellendes Blut! Aufhören das Sterben !
Aber die Leichen werden Saaten sein, die Früchte tragen sollen, Früchte
der Kraft, Früchte des Hasses. So säest du, England, mit frevelnder
Hand dein Verderben.
Nicht braucht ihr mehr wehmutsvoll zur Heimat zu blicken. Sie haben euch
sucht zu ruhmlosem Schlafe verbannt. Tapfer habt ihr gekämpft, Brüder,
da draussen, treu werdet ihr weiter fechten, ruhmvoll wird euer Sterben
sein!
Gott
aber strafe England !
Leutnant
Wolfgang Müller |